Wir haben ein Unternehmen interviewt, das es ins DiGA-Verzeichnis geschafft hat… doch viele Start-up scheitern noch an den Hürden, ziehen ihre Anträge zurück oder versuchen, aufwendige Studien zu meistern, auch für die endgültige Aufnahme. Zahlreiche Unternehmen sind bisher nur vorläufig in die Liste des BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) aufgenommen. Heute sprechen wir mit Dr. Jan Simon Raue, Mitgründer und Geschäftsführer der Fosanis GmbH und Entwickler der Mika-App.

Ihre App ist bereits im DiGA-Verzeichnis aufgenommen: Vor welchen Hürden stehen Unternehmen, die eine DiGA werden wollen und wie haben Sie diese gelöst?

Das Digitale-Versorgung-Gesetz hat den gesetzlichen Rahmen dafür geschaffen, dass alle Patient:innen eine Kostenerstattung für eine digitale medizinische Leistung wie unsere personalisierte Krebstherapiebegleitung erhalten können. Die Voraussetzung für die Kostenübernahme an die Sicherheit, Funktionstauglichkeit und den Datenschutz sind entsprechend hoch und anspruchsvoll. Als Anbieter einer digitalen Gesundheitsanwendung sollte man sich deshalb genau überlegen, ob das eigene Produkt wirklich schon bereit ist, um in das DiGA-Verzeichnis des BfArM aufgenommen zu werden. Insbesondere der wissenschaftliche Nachweis über den realisierbaren positiven Versorgungseffekt ist zentral.

Unser Weg dorthin begann 2017 mit der Entwicklung der Mika-App. Ein großer erster regulatorischer Meilenstein für uns war die Zertifizierung als Medizinprodukt. Im März dieses Jahrs erhielten wir dann die Zulassung vom BfArM als App auf Rezept für zunächst drei gynäkologische Krebsarten. Seit dem 10. Juni können wir uns mit Stolz die erste App auf Rezept für alle Krebspatient:innen nennen. Unser Ansatz ist dabei ein stark wissenschaftlicher: Wir haben das psychoonkologisch-orientierte Programm gemeinsam mit Psychotherapeut:innen entwickelt und lassen es regelmäßig vom Leibniz-Institut für Resilienzforschung prüfen.

Aktuell führt das Universitätsklinikum Leipzig eine randomisierte und kontrollierte Studie mit 524 Patient:innen mit malignem Tumor durch. Wir möchten in der laufenden Studie nachweisen, dass die Nutzung von Mika insbesondere die gesundheitsbezogene Lebensqualität verbessert und die psychische Belastung reduziert.

Bisher wurden nur wenige Apps von Ärzt:innen verschrieben. Fehlt es an Information oder an Motivation? Was können DiGA-Hersteller tun, um diesen Zustand zu verbessern?

Unser Programm ist in Zusammenarbeit mit renommierten Spezialist:innen entstanden. Onkolog:innen und Psychoonkolog:innen (z.B. Charité Berlin, Universitäres Krebszentrum Leipzig, Nationales Centrum für Tumorerkrankungen Heidelberg ) haben von Anfang an die Entwicklung des Programms begleitet. Darüber hinaus nutzen viele Ärzt:innen und Kliniken die App bereits. Aus unserer Sicht ist jetzt die weitere Aufklärung der Ärzt:innen und Psychotherapeut:innen entscheidend. Wir müssen Sorgen der Behandler:innen ernst nehmen und stellen den wissenschaftlich fundierten Nutzen der personalisierten Krebstherapiebegleitung in den Mittelpunkt. Da sind alle Hersteller von DiGAs gleichermaßen zur Aufklärungsarbeit aufgerufen. Der Spitzenverband Digitale Gesundheitsversorgung, SVDGV, leistet hier großartige Arbeit. Auch unsere Mitstreiter:innen gehen immer öfter aktiv auf Ärzt:innen zu und informieren.

An der Stelle noch ein wichtiger Hinweis für onkologisch tätige Ärzt:innen: Der SVDGV bietet Ärzt:innen und Psychotherapeut:innen ab Juli CME-qualifizierte Webinare zum Thema „Den Krebs behandeln, Den Menschen begleiten. Neue Impulse aus der Psychoonkologie” an.

Auch unter potenziellen Nutzer:innen ist die Bekanntheit gering. Was brauchen diese, um Vertrauen zu digitalen Anwendungen auf Rezept zu gewinnen?

Für uns ist das Stichwort hier Empowerment. Wir sind stolz, mit Botschafter:innen, Mutmacher:innen und Krebs-Aktivist:innen zusammenzuarbeiten, die sich der Patient:innenen-Ermächtigung verschrieben haben. Sie bauen mögliche Berührungsängste mit digitaler Selbsthilfe ab und leisten wertvolle Aufklärung. Unser gemeinsames Ziel ist es, einen besseren Umgang mit der Erkrankung und ihren Belastungen zu fördern, aber auch eine aktive Rolle im eigenen Behandlungsprozess einzunehmen.

Wir erreichen Patient:innen auch da, wo sie sich untereinander austauschen, beispielsweise in sozialen Medien. Unsere Communities wachsen stark, das Interesse an seriösen, fundierten Angeboten steigt. Gleichzeitig können wir gerade in Pandemie-Zeiten, durch die viele Patientenveranstaltungen nicht stattfinden können, die Nähe zu Betroffenen halten. Hier pflegen wir einen respektvollen Austausch miteinander. Immer wieder sind Anregungen von Patient:innen Anlass, die App zu verbessern. Wir hören zu: Wo liegen die größten Herausforderungen? Was wünschen sich Krebspatient:innen? Es geht uns darum, jedem Menschen mit einer Krebs-Diagnose eine möglichst hilfreiche und zielgenaue, aber auch leicht bedienbare digitale Unterstützung anzubieten.

Welches Zukunftspotenzial steckt in den DiGA?

Digitale Gesundheitsanwendungen können auf vielfältige Weise Patient:innen und Ärzt:innen unterstützen, bspw. bei der Erkennung und Behandlung einer Krankheit oder der Beobachtung des Therapiefortschritts. Auch im Bereich der gesundheitsförderlichen Lebensführung gibt es großes Potenzial für DiGA.

Aus meiner Sicht ist die selbstbestimmte und aktive Beteiligung der Patient:innen eines der zentralen Themen. Mit Mika beispielsweise können wir Patient:innen ein Hilfsmittel an die Hand geben, um mündig und motiviert mit ihrer Erkrankung umzugehen. Personalisierte Inhalte, wie Artikel, Audios, Videos und kleine Kurse, helfen im Alltag. Darüber hinaus schließen diese Apps Versorgungslücken. In der Therapie, von der Diagnose über die Behandlung bis zur Nachbetreuung, ergeben sich Fragen und Herausforderungen, die über digitale Therapiebegleitungen abgefangen und begleitet werden können.

Und als ganz konkretes Beispiel für das Zukunftspotential: Eine erste Pilotstudie an der Charité Berlin gibt deutliche Hinweise darauf, dass eine regelmäßige Nutzung der Mika-App die gesundheitsbezogene Lebensqualität der Patient:innen steigert und psychische Belastungen reduziert.

Das Anwendungspotenzial ist dabei riesig und es gibt bereits jetzt DiGAs für viele verschiedene Bereiche. Für den Umgang mit Schlafstörungen gibt es für Betroffene die DiGA Somnio, zur Behandlung von Rückenschmerzen kann Vivira eingesetzt werden, im Bereich der Psychotherapie gibt es mehrere Anwendungen.

Quelle: Mika