Der deutsche Gesundheitsmarkt ist für Startups ein schwieriges Terrain. Ein hoher Grad an Regulierung sorgt für große Markteintrittsbarrieren, und viele Startups scheitern mittel- bis langfristig daran, sich im System zu etablieren. Woran liegt das, und wie können Gründernnen und Gründer die wichtigsten Hürden meistern?

Fabian Müller ist Gründer und Geschäftsführer von Kinderheldin, ferner war er am Aufbau der Heartbeat Labs beteiligt. Er möchte im Folgenden sieben persönliche Learnings aus seiner Gründungserfahrung im deutschen Gesundheitsmarkt teilen und anderen Mut machen, sich dieser Herausforderung zu stellen.

  1. Groß denken, klein anfangen.

Ein gutes Digital-Health-Produkt löst ein echtes Problem, idealerweise für alle beteiligten Stakeholder, und fügt sich leicht in bestehende Prozesse und Systeme ein. Gerade zu Beginn lohnt es sich daher, bewusst minimalistisch zu denken: So ist beispielsweise eine webbasierte Lösung leichter in die hauseigenen Tools einer Krankenkasse zu integrieren als eine native App.

Und: Wer in einer kleinen Nische erfolgreich Vertragsbeziehungen, eine Marke und eine Kundenbasis aufbauen kann, wird sein Angebot später einfacher auf andere Marktsegmente, weitere Indikationen oder Zusatzprodukte ausweiten können.

  1. Produkte nicht (nur) für den Nutzer entwickeln.

Die gängige Startup-Formel, den Nutzer in den Mittelpunkt der Produktentwicklung zu stellen, funktioniert im Digital-Health-Bereich nur eingeschränkt. Zwar muss das Produkt ein spezifisches Nutzerproblem lösen und bedienerfreundlich sein – aber: Als Leistungserbringer im deutschen Gesundheitsmarkt bewegen sich Gründerin der Regel in einem Modell, in dem der Kunde nicht gleichzeitig Kostenträger ist. Wer erstklassige patientenzentrierte Produkte baut, die aber an den Anforderungen von Krankenkassen, Ärzten und weiteren Anspruchsgruppen vorbeigehen, wird definitiv scheitern.

  1. Einen klaren Plan für die Monetarisierung haben.

Die Zahlungsbereitschaft der Patienten im deutschen Gesundheitsmarkt ist allgemein so niedrig, dass ein B2C-Geschäftsmodell als langfristige Monetarisierungsstrategie meist ausscheidet.

Eine oft angestrebte Lösung ist daher der erste Gesundheitsmarkt, also die Erstattung durch GKV und PKV. Für neue Gesundheitsprodukte führt der Weg dorthin allerdings in der Regel über Selektivverträge. Das bedeutet langwierige Verhandlungen mit einer Vielzahl an einzelnen Krankenkassen.

Sehr wichtig ist es, diesen Schritt realistisch zu planen: Gründer sollten frühzeitig Kontakt zu Krankenkassen aufnehmen; sie sollten dazu bereit sein, signifikanten Aufwand in die Verhandlungen zu stecken, und sicherstellen, dass die Finanzierung bis zum Abschluss erster Verträge ausreicht.

Je nach Produkt oder Dienstleistung können auch alternative Monetarisierungsmodelle, wie B2B-Kooperationen mit Arbeitgebern oder Krankenhäusern, die bessere Lösung sein.

  1. Innovative Wege im Marketing finden.

Im ersten Gesundheitsmarkt ist man bei der Vermarktung des eigenen Produkts oft auf die Kassen angewiesen. Nicht immer haben diese allerdings ein eigenes Interesse an einer breiten Bewerbung, die zunächst zusätzlichen Aufwand und Kosten verursachen kann.

Hier hilft es, bereits während der Vertragsverhandlungen mit den Krankenkassen die jeweiligen Erwartungen klar abzustecken. Im Idealfall definiert der Vertrag klare Pflichten für die Bewerbung gegenüber den Versicherten, zum Beispiel durch persönliche Anschreiben, Newsletter oder Marketing-Kampagnen.

Man sollte sich aber nicht nur darauf verlassen, sondern zusätzlich innovative Wege finden, wie man über eigene On- und Offline-Kanäle die Versicherten erreicht.

  1. Die richtigen Investoren an Bord holen.

Das deutsche Gesundheitssystem wird im internationalen Vergleich als sehr gut bewertet. Es ist aber auch: schwerfällig, konservativ, risikoscheu und hochreguliert. Gute Investoren verstehen, dass eine Etablierung in diesem System ein Marathon und kein Sprint ist, und erwarten keine kurzfristigen Hockey Sticks im Pitch Deck.

Daher ist es sinnvoll, sich Investoren zu suchen, die enge Verbindungen in den Gesundheitsmarkt haben und diesen gut verstehen. Oft ist es in der Frühphase auch von Vorteil, erfahrene Business Angels mit an Bord zu holen, die mit Expertise und Netzwerk weiterhelfen können.

Eine weitere Möglichkeit ist die Gründung zusammen mit einem Company Builder. Hier bekommt man von Anfang an Branchenexpertise sowie Zugang zu Ressourcen und Netzwerk, was die Markteintrittshürden deutlich niedriger macht.

6. Regulierung nicht unterschätzen.

Gründer im Digital-Health-Bereich sollten darauf vorbereitet sein, viel Zeit, Fokus und Energie darauf zu verwenden, sich in das Thema Regulierung einzuarbeiten. Für eine Erstattung durch die GKV gilt es beispielsweise, die Feinheiten des SGB V zu kennen.

Nichts ist in Verhandlungen mit Kassen, Ärzten und anderen Akteuren im Gesundheitssystem wirksamer, als gut informiert aufzutreten. Wer das mit eigenen Ressourcen nicht leisten kann, sollte jemand an Bord holen – etwain Form eines Beirats, der fachkundig beraten kann.

  1. Wenn eine gute Idee da ist – jetzt loslegen!

Wer all diesen Herausforderungen zum Trotz immer noch an dem Plan festhält, ein Digital-Health-Startup zu gründen, sollte es jetzt tun. Der Markt verändert sich rasch, und der Ausblick ist gut: Das Digitale Versorgung-Gesetz wird nun wohl die Hürden für die Erstattung reduzieren, in Politik und Kassen gibt es einen spürbaren Druck hin zu mehr digitalen Lösungen, und die Verfügbarkeit von Wagniskapital wächst.

Quelle: Fabian Müller