Die Pflege daheim verbessern – durch Start-ups?

Warum brauchen wir Start-ups im Pflegebereich?

Wir können den Pflegenotstand nicht bekämpfen, ohne an den Arbeitsweisen und Führungsmodellen grundlegend etwas zu ändern. Es besteht ein riesiges Potenzial, Prozesse zu verbessern und den Beruf wieder attraktiver zu machen. Nur gibt es dafür kaum Anreize. Neue Pflegedienste werden meist nur gegründet, wenn sich Pfleger:innen nach vielen Jahren im Beruf selbstständig machen. In der Regel haben sie weder die Zeit, das betriebswirtschaftliche Know-How, noch die Mittel, an den Abläufen etwas zu ändern.

Wie seid ihr bei der Gründung vorgegangen?

Dafür braucht es frischen Wind. Mein Mitgründer Clemens Raemy und ich haben ohne Hintergrund in der Pflege ganz bewusst mit einer „gewollten Naivität” diesen Bereich angegangen, um etwas zu ändern. Wir haben flache Hierarchien eingeführt, setzen auf Selbstbestimmung und positionieren uns anders als herkömmliche Pflegedienste. Wir sprechen nicht von Patient:innen und Altenpflege, sondern von Kund:innen, denen wir Gesundheits-Lösungen zu Hause anbieten.

Um ein neues Pflegemodell zu etablieren, braucht es Kapital. Es gibt oft die Ansicht, dass im Gesundheitswesen kein Profit gemacht werden sollte. Das sehen wir grundlegend anders: wenn Profit gemacht wird, bedeutet das erst einmal, dass ein echter Wert geliefert wird. Viel wichtiger ist für uns: für welchen Mehrwert wird dieser Profit eingesetzt? Zudem ist die Kehrseite von Profit zunächst einmal auch ein ordentliches Investment: Ohne Risikokapital und den Willen, zunächst Minus zu machen, sind Innovationen im Gesundheitswesen kaum zu realisieren.

Was sind Eure größten Herausforderungen?

Im Gesundheitswesen zu gründen, ist immer eine Herausforderung, aber in der Pflege bewegen wir uns in einem Bereich, der so stark reguliert ist, dass Innovationen oftmals aktiv verhindert werden. Nicht nur die zuständigen Behörden, auch die Kassen agieren wenig pragmatisch. Ich würde mir wünschen, dass Verantwortliche sich viel stärker mit den wirklichen Anforderungen in der Pflege auseinandersetzen. Es gibt viele Vorgaben, die umständlich sind und in der Praxis kaum funktionieren.

Könnt ihr ein konkretes Beispiel dafür nennen?

Ein eher harmloses Beispiel ist es, dass im Jahr 2022 Fax immer noch der Standardweg ist, um mit Ärzten und Kassen zu kommunizieren. Wir müssen Rechnungen ausdrucken und unterschrieben an die Kassen schicken. Hier haben wir wenig Spielraum, obwohl wir solche Prozesse viel effizienter umsetzen könnten.

Auch beim Wachstum werden uns Steine in den Weg gelegt. Die Eröffnung eines neuen Standorts ist ein langwieriger Prozess. Für jedes Pflege-Büro brauchen wir einen eigenen Versorgungsvertrag – die Beantragung ist mit viel Papierkram verbunden, bis zur Genehmigung können Monate vergehen. Und das sind nur die Standardprozesse. Kompliziert wird es, wenn man sich an Innovationen versucht, für die es noch gar keine Regularien gibt – oder wo diese starr auf analoge Prozesse aufgesetzt sind. Zum Beispiel mussten wir neulich nachweisen, dass die Planung einer Pflegetour an einem bestimmten Standort durchgeführt wurde. Das nachzuweisen, ist allerdings schwierig, denn die Planung wird ja mittlerweile vollkommen digital durchgeführt. Dennoch ist der Ort für die Kassen von Bedeutung. Als Abhilfe drucken wir nun immer noch viele Dinge aus, um auf der sicheren Seite zu sein – das bräuchte es für unsere internen Prozesse allerdings schon lange nicht mehr.

Tut sich denn etwas in Sachen Bürokratieabbau?

Im Gegenteil: Mit Corona hat sich die Situation eher verschlechtert und ich habe den Eindruck, dass die Vorgaben und der administrative Aufwand für Pflegedienste immer weiter zunehmen. Ein Beispiel: Die Beantragung des Corona-Bonus ist so kompliziert und die Fristen zur Einreichung so eng gesetzt, dass man als Pflegedienst dafür eine eigene Vollzeitkraft bereitstellen müsste, die nicht refinanziert wird. Wenn man in dem Prozess einen Fehler macht, muss man den Bonus unter Umständen aus eigener Tasche zahlen. Durch Corona und andere neue Vorgaben wie die aktuelle Gasumlage und die Vorgaben zur Tariftreue haben wir immer mehr administrativen Aufwand, der nicht bezahlt wird und der innerhalb kürzester Zeit bearbeitet werden muss. Man könnte erwarten, dass in einem kritischen Bereich wie der Pflege neue Vorgaben nachvollziehbar und umsetzbar sind. Stattdessen müssen die Pflegedienste Beschlüsse ausbaden, die realitätsfern sind und wir in der Umsetzung dann das Definitionsrisiko tragen. Denn am Ende haftet ja der Arbeitgeber. Das macht es für alle Pflegedienste schwieriger, wirtschaftlich zu agieren.

Ist Deutschland gut aufgestellt, Start-ups im Gesundheitswesen zu fördern?

Es gibt einige Förder-Initiativen auf Landes- und auf EU-Ebene: für die Digitalisierung im Gesundheitswesen, für F&E, für die Entwicklung neuer Arbeitsmodelle und sogar für einzelne Bereiche wie die Pflege selbst. Das ist natürlich zu begrüßen; einProblem ist aber, dass es eine Wissenschaft für sich geworden ist, Fördermittel zu erhalten. Es gibt heute Consultants, die sich nur auf solche Beantragungen spezialisiert haben – ohne hat man kaum eine Chance. Die Bewerbungsprozesse sind sehr aufwändig.

Wir haben kurz nach der Gründung eine Woche lang nichts anderes gemacht, als die Bewerbungsunterlagen für ein Projekt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zusammenzustellen. Die Crux dabei: innerhalb der vorgeschriebenen Prüfungszeit von drei Monaten durften wir mit dem Projekt noch nicht anfangen. Kein Start-up kann es sich erlauben, so lange zu warten und währenddessen völlig im Unklaren über die Erfolgschancen gelassen zu werden. Wir haben in der Zwischenzeit private Investoren von unserem Modell überzeugt. Es war die richtige Entscheidung, denn tatsächlich haben wir am Ende der Frist vom Ministerium eine Absage ohne Begründung erhalten. Um Start-ups im Gesundheitswesen besser zu fördern, müssten die Anlaufzeit und die bürokratischen Hürden, bis Gelder fließen, deutlich verringert werden.

Was wünschst du dir für Veränderungen, in fünf Jahren im Gesundheitswesen?

Ich hoffe zum einen, dass sich die Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen den Akteuren im Gesundheitswesen deutlich verbessert. In meinen Gesprächen mit Verantwortlichen begegnet mir viel zu oft die Denkweise, dass die eine Stelle der anderen die Butter vom Brot nimmt – anstatt dass man darauf schaut, was wirklich sinnvoll für die Mitarbeiter:innen und Pflegebedürftigen ist.

Zum Anderen wünsche ich mir, dass Modernisierungsbemühungen im Gesundheitswesen stärker anerkannt werden. Ein Beispiel für die Pflege: Ambulante Dienste werden heute vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) geprüft und benotet – doch Digitalisierung ist dabei kein Kriterium, obwohl Pflegedienste, die digitale Lösungen einsetzen, effizienter sind und Pflegekräfte entlasten. Um flächendeckend Modernisierungen im Gesundheitswesen durchzusetzen, braucht es eine stärkere Inzentivierung.

Zuletzt würde ich mir vor allem Pragmatismus und viel mehr Nähe der Entscheidungsträger zum wirklichen Berufsalltag wünschen. Wir haben oft das Gefühl, dass Entscheidungen irgendwo entfernt vom Geschehen getroffen werden, von Menschen, die noch nicht einen Tag in der Pflege oder als Unternehmer:in verbracht haben. Vieles, was sich in der Theorie fantastisch anhört, entlarvt sich erst in der Umsetzung als nicht tragfähig oder anpassungswürdig. Daran muss sich etwas ändern. Die gute Nachricht ist, dass es dafür Lösungen und sehr viele motivierte Unternehmer:innen gibt, die genau das tun wollen.

Quelle: Interview-Partnerin war Katrin Alberding, Co-Gründerin und Co-CEO von kenbi. Der Pflegedienst setzt auf neue Technologien und unabhängige selbstbestimmte Teams, sechs bis zwölf Mitarbeitende verantworten jeweils ihren eigenen Standort. Bürokratie wird reduziert – mit proprietären Apps, die den gesamten Pflegealltag abbilden (Dokumentation, Tourenplanung, Abstimmung im Team und Erfassung von Arbeitszeiten).

 

 

 

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