Die jüngeren, urbanen Versicherten machen es vor, andere werden bald nachfolgen. Wenn Ärzt:innen und Apotheker:innen jetzt nicht nachziehen, werden sie zu den Restversorgern der Nation.

Der Digitalisierungszug nimmt Fahrt auf und die Bürger:innen sitzen dabei im Cockpit: Die Nachfrage nach Online-Sprechstunden steigt von 11 auf 14 Prozent, 15 von 100 Bürgern scannen ihre Rezepte und schicken sie zu 50 Prozent an Online-Apotheken. Auch die Nutzung von Online-Kursen zu den Gesundheitsthemen Ernährung, Bewegung und Achtsamkeit ist von 18 auf inzwischen 29 Prozent stark gestiegen, erklärt eine repräsentative Umfrage zum Thema eHealth in Deutschland. 

Mit der Digitalisierung vollzieht sich ein Paradigmenwechsel im Gesundheitssystem. Die eigenen Ärzt:innen oder Apotheken vor Ort sind nicht mehr primäre Ansprechpartner. Rund die Hälfte aller ärztlichen Online-Konsultationen wird, so Dr. Alexander Schachinger, nicht vom eigenen Arzt durchgeführt, sondern von einem bislang fremden Arzt. Fast jedes zweite eingescannte Rezept geht an eine Versandapotheke. Und auch bei der sprunghaft gestiegenen Nutzung von Gesundheits-Apps haben sich die Bürger:innen nicht vorher mit Behandelnden verständigt. Sie entscheiden selbst oder nehmen Angebote ihrer Arbeitgeber oder Versicherungen in Anspruch.

Junge urbane Milieus gehen voran und entziehen dem Gesundheitssystem Ressourcen

Beispiel Onlinesprechstunde: Personen aus dem eher gebildeten städtischen Milieu, überwiegend unter 50 Jahre und meist gesund, nutzen den Online-Arzt inzwischen intensiver und verabschieden sich damit aus den klassischen Strukturen des Gesundheitssystems. Ähnliches zeichnet sich beim Rezeptscan ab. Die überwiegend jungen, gesunden Menschen nutzen die Onlinefreiheit, wollen nicht lange nach einem Arzttermin suchen oder die lästigen Wartezeiten zur Terminvereinbarung bzw.  im Wartezimmer in Kauf nehmen. Der Online-Trend im Gesundheitsbereich wird sich laut eHealth-Forscher Schachinger, analog zur Entwicklung in anderen Wirtschaftsbereichen, weiter beschleunigen. Mit über 3000 Befragten analysiert die halbjährlich durchgeführte Studie das Nutzerverhalten für marktrelevante E-Health-Anwendungen.

Dass das etablierte Gesundheitswesen nicht Verlierer sein muss, zeigt das Beispiel Krankenkassen: Mit 31 Prozent stehen GKV und PKV auf Platz 1 der Empfehlungsgeber, vor Ärzt:innen und der eigenen Online-Suche für indikationsbezogene Gesundheitskurse.

Überlassen Arzt und Apotheker dem Internet das Medikamenten-Management?

Digitale Versorgungsszenarien sind strategisch bisher unterschätzte Größen: Denn auch bei Apps, die die Einnahme, Therapietreue und Folgebestellungen für Medikamente anbieten, ist die Eigenrecherche der beliebteste Beschaffungskanal – dreimal stärker ausgeprägt als der Empfehlungskanal „Arzt/Ärztin“. Ist das ein digitales Therapieversagen der Leistungserbringer, die die digitale Wirklichkeit bisher erfolgreich ausblenden?

Vor dem Hintergrund der ärztlichen Forderung nach einem Digitalisierungsmoratorium warnt  Schachinger: “Moratorium ist nicht.” Eine wachsende Anzahl von Versicherten, derzeit ca. 5-7 Millionen E-Health-Nutzer, sucht sich ihre medizinischen Versorgungsangebote selbst zusammen. Über kurz oder lang werden die anderen Bevölkerungsgruppen nachziehen. Die organisierte Ärzte- und Apothekerschaft droht zu den gesundheitlichen Restversorgern der Nation zu werden, wie es der EPatient Survey beschreibt.

Quelle: EPatientAnalytics