Der erste Krankenkassen-Hackathon brachte Vordenker aus Kostenträger-Organisationen mit Informatikern, Ingenieuren und Leistungserbringern zusammen. Von der Idee bis zum Prototyp – für ausgewählte Fragestellungen entwickelten die Teams starke Lösungen.

Den „Health-Insurance-Hackathon“ (HIH) mit 70 Hackern und weiteren Teilnehmern insbesondere aus Krankenkassen sowie Interessierten aus der Gesundheitsbranche veranstaltete das WIG2 Institut. Organisiert wurde das Event Team um Martin Blaschka, Leiter Institutskommunikation WIG2, Ende Januar in Leipzig. Das Ziel der Versorgungsforscher und ihrer fünf Partnerkassen war es, die Möglichkeiten von morgen auszuloten – neue Lösungen für eine bessere Versorgung zu entwickeln sowie eine höhere Kundenzufriedenheit und höhere Kosteneffizienz bei den Kassen zu ermöglichen. Die beteiligten Kassen waren die IKK classic, Siemens Betriebskrankenkasse, BIG direkt, BKK VBU und R+V BKK.

Zehn interdisziplinäre Teams stellten sich in 40 Stunden den herausfordernden „Challenges“. Unterstützt wurden die Hacker durch vier Expertenworkshops, in denen Innovationsberater und Gesundheitswissenschaftler Kompetenz bei schlanker, agiler Softwareentwicklung sowie Datenvisualisierung und Design Thinking vermittelten. – Mit dabei waren auch die Initiativen der „Jungen“ wie Hashtag Gesundheit und BKK Youngtalents.

Die zehn Fragestellungen

Team A entwickelte einen Demenz-Kompass mit einer Bündelung von Informationen zur Krankheit sowie der persönlichen Begleitung von Angehörigen und Patienten. Eine App oder Web-Applikation soll die Versorgung Demenzerkrankter auch durch Podcasts und Videos ermöglichen – auch mit FAQs und dem Austausch unter den Betroffenen. Überforderte Angehörige/Pflegende stehen im Mittelpunkt, Demenzbegleitern soll die Koordination erleichtert werden.

Seine Vision für ein digitales betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) stellte Team B vor: Der BGM-Coach soll Nutzer durch persönliche Zielvereinbarungen, soziale Motivation im Team und Belohnungen dazu bringen, dass sie „dabeibleiben“. Blended Learning erweitert Präsenzseminare digital und verstärkt Bewusstsein und Nachhaltigkeit für Verhaltensänderungen. Ein KI-basierter Chatbot, Wiederholungen und Übungen sind didaktische Elemente.

Mit der interaktiven Kommunikationszentrale KAI wollte Team C das Herz der Jury gewinnen. Individualisiert für Versicherte verbindet das „Kassenassistenz-Interface“ analoge und digitale Kommunikationswege: Telefon, Email, Sprache, Post, Chatbot (auch via Video) sowie Sprachassistenz dank Alexa, Google usw.

Das Team D arbeitete an Früherkennung und Prävention von Burnouts. Dazu erhielt es von der Siemens_BKK RSA-Satzarten aus drei Jahren. Die Frage für die Analysen lautete: Welche Diagnosen treten gehäuft auf? Als Ziel erarbeiteten die Hacker eine App auf Basis der diagnosebasierten Fragen und einer Risikobewertung. Der Ansatz eignet sich auch für das BGM – zum Identifizieren von Risiken bei Mitarbeitern. Die Ausgaben für psychische Erkrankungen sollen sich hierdurch ebenfalls besser steuern lassen.

Informationsmanagement in Zeiten der DSGVO hatte sich Team E vorgenommen: Ein Konzept sollte die Kommunikation zwischen Kliniken, Kassen, Versicherten und Angehörigen, Behandlern sowie MDK – statt Post und Fax – durch sichere Datenübermittlung und schnellen Informationsaustausch verbessern. Konkret ging es bei diesem Ansatz um die Beantragung von Leistungen zur Reha.

Beim Team F stand das Versorgungsmanagement für psychisch Kranke nach der stationären Behandlung im Mittelpunkt – mit der Vermeidung von Wiedereinweisungen durch nicht funktionierendes Entlassmanagement. Die App Mindcompass unterstützt die Anschlussversorgung mit einem Angebot an Informationen über verfügbare ambulante Möglichkeiten.

Das Team G fokussierte die Geschäftsstelle der Zukunft mit ihren Kernherausforderungen: Erkrankungen erkennen, Therapieansätze vorschlagen, Prävention aufgrund Risikofaktoren einleiten. Ein vollumfängliches Betreuungskonzept verbindet dabei die Offline- und Online-Welt in Form eines Gesundheitsportals.

Blockchain war die Technologieinfrastruktur der Wahl des Teams H: Es zielte auf die Koordinierung der Therapiemaßnahmen und Behandlungsschritte auf Basis von Disease-Management-Programmen. Der Prototyp umfasste den Informationsaustausch und Echtzeit-Bewilligungen zwischen Kassen, zugelassenen Leistungserbringern und Patienten. Höhere Adhärenz ist der gewünschte Benefit.

BGM bildete auch den Kontext von Team I. Der Firmenkunden-Challenge „How to get the right ones“ hatte die schwer ansprechbaren Mitarbeiter mit hohem Stresslevel im Blick – beispielsweise Pflegemitarbeiter und Ärzte. Ein Paket an Maßnahmen soll sie erreichen – virtuell und real, digital und analog. Die resultierende „Zeitbox“ lässt sich jederzeit für eine Entspannungsphase nutzen.

Mit dem „Schatz im Datensee“ ging das Team J ins Rennen. Zur Auswertung dienten ihm 24 Millionen Routinedaten, gesucht waren Trigger und Früherkennung für Diabetes – zwei Jahre vor Erstdiagnose. Zur Gegensteuerung dient unter anderem die Unterstützung gesünderer Ernährung.

Die Jury

Jurymitglied Cinja Polenske, Referentin Versorgungsmanagament bei der R+V BKK, erklärte den Teilnehmern, wie Präsentationen aussehen sollten: Strukturiert, nicht zu technisch, klar definiert und mit Begeisterung vorgetragen. Wichtig sei es dabei, dass der Vortragende Spirit verbreite. Polenske ist zudem die Präsidentin der BKK Youngtalents, einer Initiative des BKK Dachverbandes, die als Think Tank innovativ neue Ideen im Gesundheitswesen mitgestalten soll. Beim Hackathon war sie insbesondere gespannt auf BKK-eigene, aber auch weitere Fragestellungen und Umsetzungen, ferner freute sie sich auf den Austausch mit Gleichgesinnten und eine Vergrößerung des Netzwerkes. Künftig hofft sie auf schlankere Prozesse in den Kassen beispielsweise durch Automatisierung, ferner verwandeln sich die Mitarbeiter von Sachbearbeitern hin zu Beurteilern, die die Patienten auch präventiv unterstützen.

Ein weiteres Jurymitglied, Hans Unterhuber, Siemens BKK, vermittelte in seiner Rolle als Vorstand, warum sich Krankenkassen bei einem Hackathon engagieren: Die Innovationsstrategie seiner Kasse beinhaltet, eine führende Rolle in der Kundenorientierung einzunehmen und den Patienten das Leben zu erleichtern. Zum einen ist ein Hackathon dabei ein Masstab, ob die eigenen Ideen denen von anderen entsprechen und nicht exotische Gespinste sind. Ferner ergeben sich neue Bereiche, an die sie selbst ggf. nicht gedacht haben. Als Jurymitglieder achtete er dabei vor allem auf den größtmöglichen Kundennutzen, aber auf darauf, wie viele Menschen in welchem Umfang von den Lösungen profitieren und zuletzt, ob etwas wirklich innovativ sei.

Die IKK classic verfolgt eine Innovationsstrategie, die den Menschen vermehrt in den Mittelpunkt stellt, unterstrich Jörg Swoboda, Stellvertretender Vorstandsvorsitzender und Jurymitglied. Dabei beachtet sie seine individuellen Voraussetzungen bzw. seine Krankheit in ihren unterschiedlichen Stadien. So werden Innovationen sektorenübergreifend speziell für die Mitglieder entwickelt. Hackathons sind hervorragende Veranstaltungen, um kassenübergreifend mit KollegInnen von anderen Kassen, aber auch mit Startups, aufgrund eines wissenschaftlichen Inputs in einer bestimmten Zeit unter Hochdruck an Lösungen zu arbeiten. Diese Erfahrungen geben die Teilnehmer später an Kollegen in der Kasse weiter, damit diese lernen, ähnlich zu arbeiten. Die Kriterien der Jury beliefen sich auf die Frage nach dem Kundennutzen, der Innovationsleistung und dem gesundheitökonomischen Effekt. Swoboda achtete zudem noch, darauf, wie umsetzbar die einzelnen Projekte waren.

Finale

So kamen am Samstag und 120 Personen in der Kuppelhalle der Leipziger Volkszeitung zum finalen Pitch zusammen. Dabei ging der Preis für die innovativste Lösung geht an Team H mit der Blockchain-Technologie. Der Gewinner des größten Nutzens für Versicherte wurde Team G mit dem Konzept „Krankenkasse der Zukunft“. Den Publikumspreis gewann Team J, „Schatz im Datensee“ zur Diabetesprävention, knapp vor Team C, Kommunikationszentrale „KAI“. Den besten gesundheitökonomischen Effekt erreichte ebenfalls Team J. Hier unser Interview mit dem Doppelgewinnerteam.

Leipzig ist ein attraktiver und kostengünstiger Standort, mit Hochschulen, Forschungsinstituten und Fachkräften, erzählte Florian Bontrup, Mitgründer von docyet. Dies bestätigte Marco Weichold vom Basislager Coworking Space Leipzig, an dem der Hackathon durchgeführt wurde. Es bietet Arbeitsplätze und interdisziplinären Austausch aus verschiedenen Wirtschaftssektoren, mit unterschiedlichen Kompetenzen und ganz vielen Ideen um schneller mit Produkten vorankommen. Auch ein „SpinLab“ in der Stadt trage zu einer smarten Infrastruktur bei. So soll im nächsten Jahr der zweite Krankenkassenhackathon hier durchgeführt werden; ein begleitender Kongress „Innovationskonferenz in der GKV“ lockt dann sicher weitere Interessierte in die sächsische Landeshauptstadt.