Luxusmöbel oder Europaletten?

Pitches, Hackathons und Meetups: Wo findet man die innovativsten Formate für Präsentationen von Startups? Sind es hippe Szenehubs und postindustrielle Coworking Spaces oder noble Hotels – wie bei den konventionellen Veranstaltungen im Gesundheitswesen –, urige Kneipen oder Universitätshörsäle? Welche Vorteile und Nachteile bringt dieses Drumherum mit sich? Wir bieten euch einen kleinen Überblick.

Euer Journalistenteam hat bei der Berichterstattung von vielen Events der letzten Jahre zahlreiche Locations verglichen – und herausgefunden: Besonders beliebt sind Schiffe! Ein Vorteil: Der meist enge, begrenzte Raum bietet eine charakteristische und authentische Atmosphäre; keiner kann zwischendurch abspringen (auf jeden Fall ist das nicht empfehlenswert). Das Schiff bewegt sich fort und vermittelt so ebenfalls „Bewegung und Tun“: Dieser Blick nach vorn und die Bewegung in der Geographie passen zu dem Ziel jedes verantwortungsbewusst agierenden Menschen – zur Weiterentwicklung und Führung im persönlichen und geschäftlichen Umfeld. Auf dem Schiff ist man zum Teilnehmen und Networken gezwungen; doch diejenigen, die neben starken Inhalten und angeregten Gesprächen zwischendurch Ablenkung suchen, können auch einmal ihre Blicke schweifen lassen und die Ästhetik des Wassers und der Landschaft genießen.

Rostock-Warnemünde

So haben in den letzten Jahren verschiedenste Startup-Events auf dem Rhein stattgefunden: Eine Hackathon-Follow-Up-Tour auf Deutschlands größtem Fluss mit Start und Ziel Köln zog – ebenso wie die Branchenkonferenz in Rostock-Warnemünde in der Ostsee-Bucht – zahlreiche Interessierte wie Startups, Investoren und Politikvertreter an. EIT Health veranstaltet jährlich den Ship for Health Innovation Pitch, der den Teilnehmern die Landschaft neckaraufwärts ab Heidelberg vor Augen führt.

Fragt man die Teilnehmer nach ihren Eindrücken, so kommen durchweg positive Reaktionen. Der Austausch mit anderen Teilnehmern fällt in der urlaubsähnlichen Atmosphäre leicht, der Wellengang stört weder bei lukullischen Genüssen noch beim Pitchen. Auch die Möglichkeit, zwischendurch eine kurze Pause einzulegen und in der Frischluft durchzuatmen, ist auf den meisten Schiffen gegeben. Lediglich die Pünktlichkeit, wenn ein Schiff nicht zum vereinbarten Zeitpunkt am Zielort einläuft, kann für manche ein Problem werden. Unterwegs aussteigen ist nicht einfach, aber mitunter machbar – das haben wir in Heidelberg sogar selbst erfahren dürfen: Ein aufrichtiges Dankeschön gilt dem Kapitän der Königin Silvia, der sogar ein Taxi direkt an einen Schleusen-Zwischenhalt bestellte und so die Rückreise mehrerer Teilnehmer sicherte. So etwas nennt man Service!

Hackathon, Meetup, Pitch, Kongress oder Messe?

Doch widmen wir uns nun den verschiedenen Formaten: Die meisten, die an Startups denken, stellen sich junge Unternehmer vor, die Ihre Ideen in Kurzvorträgen (also Pitches) einem größeren Publikum vorstellen und so Partner suchen, beispielsweise für Finanzierung, Beteiligungen etablierter Firmen, Produktentwicklung, Marketing etc. Hier sprechen sie Inkubatoren und Akzeleratoren, aber auch Industrieunternehmen – Medizintechnik, Pharma, IT – oder Krankenhäuser, Arztpraxen, Verbände etc. an. Jeder Veranstalter in der Branche, der ein „zeitgemäßes“ Programm anbieten möchte, hat einen Müsser-Slot mit Startup-Pitches. Oft fehlt es dabei leider an einer Strategie und einem Konzept – welche Startups mit welchen Lösungsangeboten passen zum Programm und zu den Zielgruppen der Veranstaltung? Geht es den Kongress- und Messeteilnehmern eher um Technologien und Methoden für Diagnostik oder Therapie, um molekulare Medizin oder Künstliche Intelligenz? Stehen Prozessverbesserungen, B2C-Lösungen oder digitale Teilhabe im Mittelpunkt? Wie adressiert man die Pitch-Kandidaten, wie sollte sich – passend zu den Lösungen, den Jungunternehmen und den Veranstaltungsteilnehmern die Jury aus Experten und Meinungsbildnern zusammensetzen? Was bietet man außer Visibility … oder Entertainment – einen Award? Wie gestaltet man den Preis aus – als „kostenfreien“ Workshop eines Beraters oder mit realen Benefits wie einem Coworking-Aufenthalt im Silicon Valley?

Allzu oft erhält man leider den Eindruck, dass Veranstalter aus Mangel an Marktkenntnis solche Parameter von – anders gelagerten – Events abkupfern. Pitches als Bespaßungs-Termin, mitunter als Attraktion am Nachmittag des letzten Kongresstages, sollen häufig als Publikumsmagnet herhalten, weil sie „in sind“. Die Bedürfnisse der Startups erfüllen sie kaum.

Hackathons

Vor der Gründung – das ist die Phase, in der Hackathons attraktive Möglichkeiten bieten. Die Bezeichnung hat nichts mit „verbotenem Hacken“ zu tun – außer gegebenenfalls dem großen Zeitbudget, das Beteiligte einsetzen. Es geht hierbei um einen Zeitraum von 24-48 Stunden und mehr, in denen oft ununterbrochen, also mit wenig Nachtruhe, Lösungen nicht nur im Bereich Digital Health an-entwickelt werden. Manche Teilnehmer solcher Hackathons bringen ihre Schlafsäcke für den Power Nap mit …

Dieses Health-Hackathon-Format, platziert häufig in Universitäten bzw. Universitätskliniken, bringt Menschen mit Willen zur Gestaltung von Innovation zusammen – etwa Techniker und Programmierer mit solchen, die Ideen zu einer verbesserten Gesundheitsversorgung haben.

So treffen hier Studenten verschiedener Fachbereiche, Pflegende, junge Ärzte, Forscher, Sozialarbeiter, Medizinphysiker usw. aufeinander. Zum Start werden verschiedene Challenges, Projektthemen, vorgestellt und zusätzliche Ideen gesammelt. Im Laufe von ein bis drei Tagen sollen Lösungen entstehen – im besten Fall in Form eines MVP (minimum viable product), das während des Hackathons mit den nötigsten Funktionen zu einem lauffähigen Produkt entwickelt wird. Ferner gehört dazu die parallele Erarbeitung eines Kurzvortrages für den letzten Tag, der das Produkt, die Lösung, ggf. die Beweggründe des Teams, das Geschäftsmodell und eine Prognose für die Zukunft beinhaltet. Meistens zeichnet eine Jury aus Experten, Finanzierern und Wissenschaftlern bzw. das (Fach-)Publikum am Ende die besten Projekte aus. Vertreter der Politik, Industrie, Krankenkassen, Finanzwelt und auch Krankenhäuser versuchen danach häufig, die Ansätze der Hackathon-Teams bzw. der frisch gegründeten Startups nachhaltig voranzubringen.

Leipziger Volkszeitung

Weitere attraktive Locations, die in der letzten Zeit Hackathons beherbergten:

  • Glaskuppeldach der Leipziger Volkszeitung (Abschluss-Pitches des ersten Krankenkassen-Hackathons von WIG2 Institut: Martin Blaschka, er brachte Vordenker aus Kostenträger-Organisationen mit Informatikern, Ingenieuren und Leistungserbringern zusammen)
  • Odysseum Köln (Abschlussveranstaltung eines Health-Hackathons mit Innovate.Healthcare, Dr. Tobias Gantner)
  • Sparkassenarena Kiel (der Healthhack Kiel des UKSH mit Dr. Elsner fand hier in den Jahren 2017 und 2018 statt)
  • Universitäten unterschiedlicher „Couleur“: Ruhr-Uni Bochum mit dem Beton-Charme der 60er Jahre, ländliche Hochschule in Weiden-Oberpfalz (Hacking Rural Health), modernes Gebäude mit Atriumgarten an der Universitätsmedizin Mainz

Meetups

Ein weiteres Format für Startup-Events sind Meetups. Diese sind oft thematisch ausgerichtet, auf Regionen begrenzt und dienen mitunter vorrangig dem Austausch untereinander. So können die Startups hier ihre Netzwerke ausbauen und ggf. ergänzende Strategien in passenden Gesundheitseinrichtungen vorstellen, bekommen Hilfe bei Gründung, Finanzierung, Entwicklung und Umsetzung ihrer Produkte im deutschen Gesundheitsmarkt – etwa Beratung in Richtung Gesetze, Datenschutz, MDR/MPG. Meetups finden oft in Hubs oder auch in der Gastronomie statt, mitunter auch in Unternehmen oder auf größeren Veranstaltungen, beispielsweise am Ende eines Messetages. Die Unternehmen und Hubs möchten durch Meetups ihre eigenen Netzwerke ausbauen und innovative Ideen integrieren. Locations sollen hier nicht besonders hervorgehoben werden …

Pitches und Orte

Das wohl häufigste Format ist der „Startup-Pitch“ auf Veranstaltungen, also auf Kongressen oder Messen. Auch Pharmaunternehmen, Krankenkassen und andere Institute/Organisationen haben hier eigene Varianten entwickelt, teilweise mit Ausstellungen, festlichem Ambiente und Dinner etc. Hervorheben ließen sich hier der Industrieclub Düsseldorf (Kurzvorstellung von Startups beim Entscheider-Event), und der International Club Berlin (CDGW Zukunftspreis) – solche exklusiven Standorte sind normalerweise nur den eigenen Mitgliedern vorbehalten.

Das Wirtschafts- und das Gesundheitsministerium in Berlin sind ebenfalls besonders beliebte Orte, im ersten fanden unter anderem eine Healthcare Startup Night (2017), im zweiten ein Blockchain-Wettbewerb (2018) statt. Jeder Jungunternehmer hofft hier darauf, auf der höchsten politischer Ebene wahrgenommen zu werden. Ähnlich, doch oft noch attraktiver, sind Botschaften. In der Berliner niederländischen Botschaft findet seit vier Jahren während der DMEA (früher conhIT) ein Startup-Abend statt, und in der Schweizer Botschaft gab es dieses Jahr ein Abschlussevent von Startups aus der Schweiz, die auch in Deutschland agieren wollen. Neben den landeseigenen Botschaftern sind hier auch meist hochrangige deutsche Politiker vor Ort – und VIPs der Branche.

Weitere attraktive Orte für Startup-Veranstaltungen verschiedenster Art bieten Microsoft, Unter den Linden, Sportarenen wie die Göbel Hotel Arena Rotenburg/Fulda (femak) oder das Modezentrum „MTC – world of fashion“, München (Bayrischer Tag der Telemedizin): Wer hier zwischendurch keine Lust mehr auf Gesundheitsthemen hat, kann sich eine Auszeit beim Shoppen gehen. Das bewährte Format der Startup-Ideenküche hat sich das Quadriga Forum in Berlin ausgesucht, das Starnberger Forum bringt das Digitale Krankenhaus ins Kongresszentrum am Flughafen Nürnberg … dort kommt man am schnellsten wieder weg.

Die Privatuniversität Witten/Herdecke verleiht jährlich einen Preis für Gesundheitsvisionäre in ihrem freundlichen Atrium; der World Health Summit beinhaltet Startup-Vorträge im Berliner „Kosmos“ und tagte auch schon im Wirtschaftsministerium.

Medizintechnik- und Pharmaunternehmen wie G4A Bayer, Merck, Novartis, Philips und Pfizer führen ebenso viele spannende Veranstaltungen vor. Oft haben sie eigene Akzeleratoren und Inkubatoren, lassen Startups über Monate in ihren Räumlichkeiten entwickeln – und bieten, zu Beginn oder Abschluss dieser Partnerschaften, ausgiebige Partys im Innen- und Außenbereich ihrer Firmensitze. Gemeinsam ist diesen Formaten, dass es neben den Pitches meistens leckeres Essen und Getränke gibt sowie oft auch Musik bzw. Vorträge von bereits etablierten Playern der Szene. Startups, weitere Gesundheitsexperten und Interessierte sind fast immer eingeladen, diese Veranstaltungen kostenfrei zu besuchen.

Messen und Kongresse wie IFA, conhIT bzw. DMEA, Hauptstadtkongress, Medica halten verschiedenste Startup-Ausstellungsbereiche, Foren, Cafés und mehr bereit – besonders innovativ sind diese Angebote vom Konzept und von der Durchführung her bisher selten … doch immerhin erweisen sie sich oft als Besuchermagnet.

Neue Veranstaltungen der letzten Zeit

Eine Startup-Safari an mehreren Standorten in München tagte vom 22. bis 25. Oktober 2019, wie ein riesiger Tag der offenen Tür.

Ein weiteres neues Startup-Format kam als „Startup-Praxis“ beim Deutschen Ärzte- und Mediziner Forum am 9. November nach Bochum.  Zwölf Redner, darunter Startups wie dubidoc, icho, Kinderheldin und Medmin, informierten die Ärzte und Mediziner über die Innovationen in der Gesundheitsbranche, Zukunftstrends und Aussichten insbesondere für den ambulanten Sektor – so erlebten die Teilnehmer durch die motivierenden und kurzweiligen Impulsvorträge eine völlig neue Art der Ärztefortbildung. Ganz analog stellte Dr. Andreas Patzelt humorvoll verpackte Anekdoten aus seinem Praxisalltag als Diabetologe vor und machte den jungen Ärzten Mut zur Praxisgründung: Nach jahrelanger Arbeit in einer Klinik halte die Praxisführung für den nun Niedergelassenen ein wundervolles, selbstbestimmtes Leben vor – mit ausreichend Zeit für Hobbies, Urlaub und mehr … Das Ziel der Veranstaltung war, dass die Teilnehmer mit viel Motivation selbst weiter am Aus- und Aufbau ihrer digitalen Zukunft und Praxis arbeiten, erklärten Björn Papendorf und Oliver Neumann als Veranstalter. So wird in 2020 das Format weiter ausgebaut: www.startup-praxis.de

Ob gemütlicher Plüsch-Sessel, Holzstuhl oder Sitzwürfel, Pizza und Cola oder Fingerfood, Beton- oder Schiffsambiente …  letztendlich sollten Startups und Innovationswillige sich primär damit auseinandersetzen, wo man die richtigen Ansprechpartner findet, die für das jeweilige Anliegen oder die Phase der Gründung relevant sind.