Seit einem Jahr gilt die die Medical Device Regulation (MDR) für Medizinprodukte, die in der EU auf den Markt kommen. Ziel ist es, die Produkte, die in Windeseile auf den Markt schwemmen, besser prüfen, validieren und sicherer gestalten zu können. Am 26. Mai 2022 soll die In-Vitro Device Regulation (IVDR) nun nachziehen. Doch auch jetzt noch stehen viele Unternehmen vor der großen Herausforderung CE-Markierung. Dr. Nikolaus Gasche, Gründer und Geschäftsführer von Biome Diagnostics, begleitet den komplexen Prozess in seinem eigenen Unternehmen von der ISO-Zertifizierung bis zur CE-markierten medizinischen Diagnosesoftware nach IVDR. Er erklärt im Interview, wie der Ablauf effizient und einfach gelingen kann.

Was sind die wichtigsten Schritte im Zertifizierungsprozess und welche Hürden gibt es?

Der wichtigste Schritt ist es, ein adäquates und funktionierendes Qualitätsmanagement aufzusetzen. Hier empfehle ich, gleich mit einer englischen Online-Variante anzufangen. Dabei lohnt sich der genaue Blick auf die unterschiedlichen Anbieter. Einige davon bieten nur verschönerte Ansichten von Word-Dokumenten und kosten rund 30.000 Euro pro Jahr. In unserem Fall war es sehr wichtig, eine direkte Integration von Qualitätsmanagement und Projektmanagement zu etablieren. So können neue Produktanforderungen dynamisch in die technische Dokumentation einfließen. Wichtig war uns außerdem, dass die Anzahl der vom Team eingesetzten Anwendungen nicht vergrößert wird, sondern dass das Qualitätsmanagement in den bestehenden täglichen Ablauf integriert werden kann.

Im besten Fall kann beispielsweise Kundenfeedback über das Projektmanagement an die Qualitätssicherung angekoppelt werden. In einem Software-Unternehmen sollte so eine Beschwerde des Kunden direkt mit einem Bug-Ticket und dem direkten Code verknüpft werden. Der Softwarefehler wird dann gefixt, im Projektmanagement und der technischen Dokumentation aktualisiert. Zuletzt erhält der Kunde eine Benachrichtigung über die Problemlösung. Der gesamte Prozess dauert weniger als eine Stunde und der zusätzliche qualitätsrelevante Aufwand kann durch die Integrierung von Projekt- und Qualitätsmanagement auf ein Minimum reduziert werden. So kann sich das Software-Unternehmen auf den Kern der Arbeit fokussieren: die Entwicklung von medizinischer Software zur Gesundheit.

Wie könnte der Prozess schneller gestaltet werden?

Das klingt ein wenig banal, aber sich rechtzeitig bei den Benannten Stellen anzumelden, ist essentiell. Diese sind leider rar, darum beträgt die aktuelle Wartezeit für die entsprechenden Audits zwischen einem halben und fast zwei Jahren. Es ist Aufgabe der ausgewiesenen Prüfstellen, zu den Unternehmen zu kommen, um Prozesse und Unterlagen zu prüfen und die Produktionsschritte zu verifizieren. Ebenso müssen Wirksamkeits- und Performancestudien rechtzeitig geplant werden. Das Zeitmanagement ist hier das A & O, damit die Ergebnisse zum Audit vorliegen.

Auch in der technischen Dokumentation ist es möglich, Zeit zu sparen, wenn die Entwickler beispielsweise während des Programmierens im Anfangsstadium schon die Code-Architektur dokumentieren. So müssen die einzelnen Schritte im Nachhinein nicht noch einmal von Grund auf nachgearbeitet werden.

Welche konkreten Tipps oder Learnings können Sie Ihren Kolleg:innen mit auf den Weg geben?
Um ein Verständnis aufzubauen, kann es sehr hilfreich sein, sich mit den entsprechenden ISO-Normen auseinanderzusetzen. Diese liefern bereits einige Grundregeln und Anforderungen für das Qualitätsmanagement und die Herstellung von Medizinsoftware. Am hilfreichsten wäre es, wenn es Best Practice Beispiele zur Entwicklung von Medizinsoftware gäbe, ähnlich wie in einer Open-Source-Community. Dort tauschen sich Entwicklerinnen und Entwickler untereinander aus, um gemeinsam an Software Codes zu arbeiten oder Fehler darin rasch und gemeinschaftlich zu lösen. Leider gibt es derlei Community für Etablierung von Medizinprodukten bisher noch nicht, auch kaum Blogbeiträge, Erklärvideos oder gute Bücher. Daher kann ich nur empfehlen, sich mit Unternehmen und Start-ups in dem Sektor über das Thema und gegenseitige Erfahrungen auszutauschen.

Quelle Text und Bild:Biome Diagnostics