Ein Gericht in Hamburg hat kürzlich entschieden, dass eine Software zur Durchführung von asynchronen telemedizinischen Diensten als Medizinprodukte der Risikoklasse IIa zertifiziert werden muss, falls sie zur ärztlichen Diagnosestellung genutzt wird. Dabei ist es unerheblich, ob sie eigene Daten erhebt oder „nur“ Patientendaten strukturiert weiterleitet.

Der gerichtlichen Entscheidung vorangegangen war ein Wettbewerbs-Streit zwischen den Teledermatologie-Anbietern OnlineDoctor und Dermanostic.

Das finale Urteil zwang die betroffene Online-Hautarztpraxis Dermanostic, ihr Produkt vom Markt zu nehmen. Laut Urteil „sei es verboten, im geschäftlichen Verkehr die Softwareapplikation mit der Zweckbestimmung zur ‚asynchronen Untersuchung von Hautveränderungen mittels Aufnahme, Speicherung, Anzeigen und Übermittlung von digitalem Bildmaterial von den betroffenen Hauptarealen sowie die Beantwortung eines Anamnesebogens und der Kommunikation (Chat) mit Fachärzten‘ in den Verkehr zu bringen und/oder auf dem Markt bereit stellen zu lassen, solange sie nicht als Medizinprodukt der Klasse lla, Ilb oder III nach Anhang VIII, Regel 11 Verordnung (EU) 2017/745 zertifiziert sei“.

Dermanostic hat die bestrittene Software-Anwendung „Hautarzt per App“ (Medizinproduktklasse 1) vom Markt genommen und am 3. Juli durch eine angepasste Lösung ersetzt ( TÜV- und MDR konform, CE Kennzeichnung nach MDR 2017/745 als mobile Anwendung). Die App gilt als Software zur Verbesserung und Unterstützung des Patientenmanagements und zur Kommunikation im Rahmen der Teledermatologie.

Einschätzung eines Verbands

Der Spitzenverband Digitale Gesundheitsversorgung e. V. sieht in der gerichtlichen Entscheidung eine Hürde für die Digitalisierung in der Medizin. Dr. Julian Braun, Mitglied des Verbandsvorstands, sagt: „In der Medizin werden vielfach Papierfragebögen genutzt, deren Ergebnisse in die ärztliche Diagnose einfließen. Eine strukturierte Datenerhebung wie bei jeder Anamnese sollte durch Digitalisierung einfacher werden. Das aktuelle Urteil des OLG Hamburgs bedeutet, dass die digital unterstützte Datenerhebung künftig mit erheblich höheren Hürden verbunden sein könnte. Zudem lässt es die entscheidende Frage unbeachtet, ob es sich bei der bestrittenen Software um ein Medizinprodukt handelt. Wir sehen außerdem große Unterschiede in den Bewertungen dieses Themenkomplexes durch Aufsichtsbehörden, benannte Stellen und Gerichte, was zu erheblicher Planungsunsicherheit führt.”

Telemedizin und asynchrone telemedizinische Anwendungen bieten Chancen für die medizinische Versorgung, indem sie Dokumentation und Nachweise effizienter und transparenter gestalten sowie vorhandene Ressourcen schonen. Behandelnde Ärzt:innen können Rückfragen stellen, um fachlich einwandfreie Diagnosen und Therapieempfehlung zu erstellen. Der Vorstandsvorsitzender Dr. Paul Hadrossek fordert: “Digital unterstützte und rein analoge
Versorgungsprozesse müssen gleichberechtigt in unserem Gesundheitssystem zum Einsatz kommen. Wir brauchen zukunftsfähige und eindeutige Regelungen, etwa für die asynchrone Telemedizin.

Was bedeutet dieses Urteil?

Aktuell lässt es sich schwer einschätzen, ob ggf. Apps vom Markt genommen werden müssen. Wir werden diese Thematik beobachten und weiter berichten. Etliche der durch die GKV finanzierten digitalen Gesundheitsanwendungen (DIGA) weisen die Risikoklasse 1 für Medizinprodukte auf (OnlineDoctor inklusive, allerdings arbeiten sie an der aufwendigeren IIa Zertifizierung).

Wir hoffen auf eindeutige Regelungen, denn gerichtliche Urteile lediglich aus Wettbewerbsgründen bringen uns in der dringend notwendigen Digitalisierung der Medizin leider nicht weiter.

Bildquelle: OnlineDoctor