Vor gut 150 Tagen nahm das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die ersten DiGA in ihr Verzeichnis auf. Ein Fazit zieht die SBK-Fachexpertin für Präventions- und Versorgungsangebote Christina Bernards, die für die Einführung und Weiterentwicklung der digitalen Versorgungsangebote zuständig ist. Die Versicherten haben bei Ausgabe von über 100 Codes fast ausschließlich positive Rückmeldung gegeben.

Bei welchen Punkten sehen Sie Verbesserungsbedarf?

Ich sehe zwei Punkte. Erstens: Wir müssen Klarheit bei den Preisen bekommen, für die Höchstpreise gibt es eine Tendenz durch die Äußerungen der Schiedsstelle. Hier müssen wir abwarten, was die Verhandlungen zwischen dem GKV-Spitzenverband und den Herstellerverbänden ergeben. Aus unserer Sicht löst das den Kern des Problems aber nicht ganz. Denn wir würden die Preisdiskussion gerne im Zusammenspiel mit dem Nutzen führen. Aktuell ist der Großteil der gelisteten DiGA nur vorläufig ins Verzeichnis aufgenommen, ihr Nutzen ist nicht bewiesen. Es ist ein Novum, dass wir Kassen in einem Regelprozess für eine Leistung zahlen, bei der die Evidenz nicht erwiesen ist. Das Fast-Track-Verfahren ist einerseits eine gute Sache – anderseits aber nutzen die Patient:innen dann vielleicht ein Angebot, was ihnen nicht hilft oder vielleicht nicht guttut. Ein digitales Angebot der Krankenkasse braucht einen schlagenden Nutzwert sowie hundertprozentige Funktionsfähigkeit. Die Versicherten dürfen keine Beta-Tester sein!

Zweitens: Mit digitalen Anwendungen lässt sich ein Nachweis erbringen, dass die Patient:innen die digitale Therapie tatsächlich nutzen und die beständige Nutzung Einfluss auf den Gesundheitszustand hat.

Das war jetzt nur der erste Punkt. An welcher Stelle haben Sie noch Anmerkungen?

Wir haben ein wenig die Befürchtung, dass mit den digitalen Versorgungsangeboten ein weiterer Sektor eröffnet wurde, der keine ganzheitliche Betrachtungsweise über die Patient-Journey vorsieht. So wird eine sinnvolle Einbindung der digitalen Anwendung in bestehende analoge und digitale Prozesse außer Acht gelassen. Die DiGA dürfen kein losgelöster Baustein sein – es braucht Mechanismen, die Silodenken durch einen konsequenten Kundenfokus und End-to-End-Prozessbetrachtung aufbrechen.

Wir halten es für sehr wichtig, eine integrierte Versorgung zu fördern und zu realisieren: Die verschiedenen Akteure müssen im Rahmen einer Behandlung zusammenarbeiten. Sonst erhalten wir eine vollkommen zerfaserte Versorgungslage mit einem neuen digitalen Versorgungssektor – und das auch noch ohne eine Kontrolle darüber, ob die Anwendung einen Nutzen bringt oder nicht. Diese Entwicklung wird begünstigt dadurch, dass Ärzt:innen und Kassen Ansprechpartner in Sachen DiGA sind und für die Patient:innen und in der nachfolgenden Behandlung keine Transparenz herrscht – im Zweifel wissen Ärzte nicht, wer eine DiGA nutzt.

Dann wäre es doch am besten, Transparenz herzustellen… Gibt es Lösungsvorschläge, wie das funktionieren kann?

Ja, das wäre das Beste – natürlich nur im Einverständnis mit den betroffenen Versicherten. Wir sehen zwei Handlungsfelder. So liegen uns die Diagnose- und Abrechnungsdaten nicht tagesaktuell vor. Es kann vorkommen, dass wir aufgrund des Zeitverzugs von rund neun Monaten für die Datenübermittlung die Versicherten wieder wegschicken müssen, wenn diese eine DiGA wünschen und wir in den Daten keine Hinweise auf die Erkrankung finden können. Erkrankte müssen dann eine Diagnosebestätigung oder eine Verordnung vom Arzt vorlegen. Das ist alles andere als kundenorientiert. Dabei wäre eine zeitgleiche Übertragung der Daten durchaus möglich, die technischen Voraussetzungen sind gegeben – und damit auch die Genehmigung einer DiGA ohne Schleifen und Umwege zwischen Kasse, Arzt und Patient. Das ist wichtig.

Unsere andere Forderung betrifft die elektronische Patientenakte. Sie wird zukünftig ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt in der Versorgung unserer Versicherten sein. Wir sind zwar Anbieter, dürfen aber – selbst wenn die Versicherten das wollen würden – nicht in die Akte Einsicht nehmen. Das erschwert natürlich eine individuelle Begleitung und Unterstützung der Versicherten ungemein. Das muss anders geregelt werden.

Am Schluss entscheidet die Kundin oder der Kunde, ob eine DiGA persönlichen Mehrwert bietet. Je nach Situation kann mal die analoge Versorgung sinnvoll sein und mal die digitale. Am häufigsten werden es wohl Versorgungskonzepte sein, wo sich analoge und digitale Komponenten sinnvoll ergänzen. Die Mehrwerte der Digitalisierung im Gesundheitswesen liegen nicht in der Produktivität, sondern sie entstehen für die Versicherten und liegen gegebenenfalls in der Erweiterung der Wertschöpfungskette. Das sollten wir alle im Blick behalten bei der weiteren Entwicklung und Förderung von DiGA.

Quelle Text und Bild: SBK