Die Anzahl an Gesetzen, Normen und Vorschriften im deutschen Gesundheitswesen ist hoch. Auf der einen Seite schützen diese Regeln Patienten, auf der anderen Seite können sie aber auch Innovationen ausbremsen. Gerade Startups stehen vor der Herausforderung, ihr Business auf Basis geltender Regeln im Markt zu etablieren. Die Schwierigkeiten bestehen darin, diese Gesetze und Vorschriften zu kennen und die Wirkung auf das eigene Geschäftsmodell einzuschätzen. Ekaterina Alipiev gründete erfolgreich das E-Health Startup „Jourvie“. Sie fasst die härtesten Regulierungen zusammen, die GründerInnen von Healthcare-Startups kennen sollten.

„Reisepass” für Medizinprodukte: die CE-Zertifizierung

E-Health Anwendungen können Medizinprodukte sein und unterliegen somit dem Medizinprodukterecht. So sollten GründerInnen im Healthcare-Bereich zuerst klären, ob es sich bei ihrer Anwendung um ein Medizinprodukt handelt. Maßgeblich ist hierfür die medizinische Zweckbestimmung und Artikel 1 des Medizinproduktegesetzes. Darauf folgt die Klassifizierung des Medizinprodukts in die entsprechende Risikoklasse, die Festlegung des Konformitätsbewertungsverfahrens und die technische Dokumentation. Das Ergebnis ist die CE-Kennzeichnung, der „Reisepass” für Medizinprodukte auf dem europäischen Markt. Aber Achtung: Die neue Medizinprodukteverordnung, die nach der dreijährigen Übergangsfrist im Mai 2020 für alle EU-Mitgliedsstaaten direkt anzuwenden ist, sieht diesbezüglich wichtige Änderungen vor: Vor allem für Software sind hier strengere Klassifizierungsregeln und damit einhergehend auch steigende Dokumentations- und Prüfungsanforderungen zu beachten. Für GründerInnen heißt es also: Frühzeitig prüfen, unter welche Klasse die eigene Anwendung fällt, damit der Prozess rechtzeitig in die Wege geleitet werden kann.

Überzeugungsarbeit bei Krankenkassen: Richtlinien zur Zulassung in den ersten Gesundheitsmarkt

Zwar tummeln sich jede Menge E-Health Apps auf dem Markt, darunter werden aber nur wenige von Krankenkassen erstattet. Grund dafür ist der oft sehr schwere Eintritt in den ersten – erstattungsfähigen – Gesundheitsmarkt. Vor allem für junge Unternehmen, die nicht traditionell aus dem Gesundheitswesen stammen, sind die Anforderungen der Krankenkassen zur Erstattungsfähigkeit geradezu unüberschaubar. Wichtig ist hier: Innovationen müssen für Krankenkassen einen medizinischen oder ökonomischen Nutzennachweis erbringen. E-Health Anwendungen sollten nicht nur einen nachweislichen Mehrwert für Patienten, den Leistungserbringer oder die Gesellschaft schaffen. Vielmehr stellt ein positives Kosten-Nutzen-Verhältnis für alle beteiligten Akteure ein entscheidendes Argument für den Eintritt in den ersten Gesundheitsmarkt dar.

Schutz personenbezogener Daten: Datenschutzrichtlinien

Viele Startups sind auf den Zugang zu personenbezogenen Daten angewiesen, um Funktionen wie die Analyse von Symptomen zu ermöglichen. Doch besonders im Gesundheitswesen ist Datenschutz ein großes Thema – Stichwort: „gläserner Patient“. Vor allem neue Regelungen für die Erhebung, Speicherung und Verarbeitung personenbezogener Daten durch die neue EU-Datenschutzgrundverordnung sollten GründerInnen kennen. Denn neben strengeren Compliance-Anforderungen erwarten sie hier auch höhere Strafen bei Verstößen.

Das Risiko der GründerInnen: Haftungsrechtliche Grundlagen

GründerInnen muss auch bewusst sein, dass sie ein Haftungsrisiko eingehen, wenn beispielsweise Gesundheitsdaten gestohlen oder veröffentlicht werden. Auch wenn Hersteller von Medizinprodukten ihre Anwendung nicht korrekt einstufen oder durch fehlerhafte Apps Schäden bei AnwenderInnen hervorrufen, müssen GründerInnen mit entsprechenden Sanktionen rechnen.

„Zu Risiken und Nebenwirkungen…”: Das Heilmittelwerbegesetz

Auch nach dem erfolgreichen Launch ihrer Produkte erwarten Startups weitere Regulierungen. Vor allem das Heilmittelwerbegesetz ist für GründerInnen elementar, wenn sie ihre Innovationen bewerben wollen. Es verbietet nicht nur für verschreibungspflichtige Medikamente zu werben, sondern regelt auch, welche Werbeaussagen für Medizinprodukte zulässig sind. Außerdem dürfen dabei Pflichtangaben wie „Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie ihren Arzt oder Apotheker” nicht vernachlässigt werden. Denn werden diese Vorschriften nicht eingehalten, müssen GründerInnen mit scharfen Sanktionen rechnen.

(Noch) keine telemedizinische Behandlung: Das Fernbehandlungsverbot

Startups, deren Geschäftsidee im Bereich Telemedizin liegt, sollten außerdem das Fernbehandlungsverbot beachten. Es verbietet Ärzten, Erstkontakt mit Patienten über Video oder Telefon herzustellen. Erste Modellversuche zur Fernbehandlung, wie sie in Bundesländern wie Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein bereits durchgeführt werden, sind für GründerInnen in diesem Bereich aber ein großer Lichtblick. Am 10. Mai dieses Jahres hat der Deutsche Ärztetag darüber hinaus mit großer Mehrheit für die Lockerung des Fernbehandlungsverbots gestimmt. Die Regelung muss aber noch von den einzelnen Landesärztekammern adaptiert werden, bevor sie wirksam wird.

Man sieht: Das deutsche Gesundheitswesen ist stark reguliert und hier zu gründen kann sehr komplex sein. GründerInnen sollten sich deshalb entsprechend frühzeitig informieren, welche Regulierungen sie selbst betreffen. Dabei sollte die Unterstützung von Rechtsanwälten, öffentlichen Stellen und Experten nicht unterschätzt werden – zeitlich und budgetär.

Quelle: Ekaterina Alipiev

Die Autorin ist heute zudem Leiterin des Pfizer Healthcare Hub Berlin. Ziel des Hubs ist es, durch Co-Creation gemeinsam mit Startups digitale Lösungen zu entwickeln, die eine sinnvolle Ergänzung zu bereits vorhandenen Therapien und Produkten darstellen.