Aktuelle Herausforderungen, zukunftsprägende Entwicklungen und praktische Lösungen: Die Aus- und Einwirkungen des digitalen Wandels auf den Gesundheitsmarkt standen im Mittelpunkt einer Fachveranstaltung Anfang Dezember in Nürnberg. Das Management Forum Starnberg bot ein spannendes Programm mit Vorträgen und Diskussionen rund um die Transformation in der Versorgung. Neben Visionen der Vordenker gab es auch Strategieentwürfe aus der Führungsebene.

Die Keynote hielt Prof. Dr. Jochen A. Werner, Vorstandsvorsitzender der Universitätsmedizin Essen. Der Visionär erklärte, das Krankenhaus von heute „sei selbst krank geworden“. Der tiefgreifende Kulturwandel durch die Digitalisierung muss zuerst in der Mitarbeiterschaft eine Veränderung im Denken erzielen. Gleichzeitig müssen Prozesse neu definiert und Mensch und Technik verknüpft werden. All diese Herausforderungen gelingen nur unter der richtigen Führung sowie mit dem Wunsch nach „Change“ und Teamgeist.

Da es noch kein Konzept für das digitalisierte Krankenhaus gibt, braucht es den Austausch – zwischen Experten, aber auch mit Patienten, Angehörigen und Mitarbeitern. Das Universitätsklinikum Essen nutzt bereits viele digitale Tools: In der Notaufnahme können Hirnblutungen über Künstliche Intelligenz (KI) erkannt werden, das OP-Personal trainiert mit Simulatoren. Die Radiologen entwickeln mit der IT eigene Algorithmen für höchste diagnostische Qualität. So identifiziert die KI auf Basis von „Trainieren und Vergleichen“ etwa Lungen- und Darmtumoren. Der Mensch vergisst und ermüdet – beim Screening stellt dies für den Rechner kein Risiko dar. Die KI wird künftig das Arztbild komplett verändern, fasst Prof. Werner zusammen.

Tomas Pfänder (hier im Video-Statement) vom Mitveranstalter Unity Consulting betonte, die Digitalisierung in der Medizin sei in der vernetzten Welt bereits weit fortgeschritten. Viele Funktionsabteilungen arbeiten schon seit über 20 Jahren digital. Leider ist dies in der Versorgungsrealität kaum angekommen. Da die Gesellschaft sich in den letzten Jahren jedoch verstärkt digital entwickelt hat, erwarten Patienten heute auch in der Medizin eine Umsetzung in Richtung intelligenter, vernetzter Versorgungsangebote – am besten orts- und zeitunabhängig und kassenfinanziert. Dagegen steht eine Überzahl veralteter Krankenhäuser: Gebäude, Infrastruktur, Technik und Kommunikation müssen dringend überarbeitet werden. Der Experte sieht in der KI mit regelbasierten Systemen, evolutionären Algorithmen und neuralen Netzen gute Lösungsmöglichkeiten. Die neue Tochterfirma Next Data Service setzt genau hier an und verbessert das OP-Management durch KI. So ergänzte Kollege Meik Eusterholz: Der Klinikbau braucht neue Technologien! Wir müssen heute vordenken, damit  künftige Infrastruktur, IT und Medizintechnik sinnvoll integriert werden können.

Martin Keunecke, Leiter des Bereiches Healthcare Norddeutschland, CHG Meridian, beleuchtete den Wandel des Finanzmarktes Krankenhaus. Durch Fachkräftemangel, also immer weniger Personal bei steigenden Patientenzahlen, sind neue Nutzungskonzepte nötig. Dabei bestehen neben einem hohen Investitionsbedarf auch deutliche Finanzierungslücken. Hier setzen Tools für Prozesse wie beispielsweise Tesma an. Über die D21 Initiative kann man Steuervorteile nutzen: Der Arbeitgeber bezieht digitale Geräte, zahlt aber nur die Hälfte und stellt sie dem Arbeitnehmer als günstiges Mietmodell zur Verfügung.

Laut Prof. Dr. Gregor Hülsken, Wirtschafts- und Medizininformatiker der FOM Hochschule für Ökonomie und Management Essen, sorgt die Digitalisierung für bessere Versorgungsqualität, Therapie und Sicherheit. Weitere Handlungsfelder sind Management und Personalwesen. „Wir erwarten, dass digitale Prozesse die Organisation und Kommunikation verbessern, weil mehr Informationen und weniger Dokumentation durch schlanke Prozesse notwendig sind.“ Die Umwälzung des Arbeitsmarktes wird kommen und manche Jobs überflüssig machen, doch im Gesundheitswesen wird nicht weniger Personal gebraucht. „Am Ende entsteht jedoch eine Abhängigkeit von der Digitalisierung, und gerade im Klinikbereich müssen wir Ausfallkonzepte definiert haben.“

Eine verständliche Erklärung der Blockchain lieferte Prof. Dr. Hans-Hermann Dirksen, Rechtsanwalt bei Liebenstein Law. Die Sicherheit der Blockchain sei ein großer Vorteil, weil alles nachvollzogen und nichts gelöscht werden kann. Doch welche Anwendungen werden wir im Gesundheitswesen sehen? Die DSGVO sei ein sinnvolles Instrument zum Schutz vor personenbezogenen Daten, so der Experte. Für spannende Diskussion sorgte seine Aussage: „Dieses Recht kann bei Forschungsprivilegen in Gesundheitsdaten außer Kraft gesetzt werden.“ Sind Gesetze folglich nur Auslegungssache? Unbestritten ist jedoch die Tatsache, dass die Klassifizierung von Medizinprodukten sich aufgrund der MDR bis 2020 ändere, da jedes seine eigene UDI erhalten wird.

Dr. Rolf Porsche, Mediziner und Geschäftsführer Porschehealth, vermittelte in seinem Vortrag, die Digitalisierung bedeute für jeden etwas anderes, daher müssen vorher die Definitionen geklärt und abgestimmt werden. Denn nicht die Technik, sondern der smarte Nutzen dahinter ist entscheidend. Ein Beispiel ist die Physiotherapie, hier hilft digitale Feedback sehr gut, auch bei älteren Patienten. Sein Tipp für Kliniken lautet: „Bieten Sie persönliche, personalisierte Prozesse für die Aufklärung vor OPs, allgemeine Informationen zum Haus und Funktionsabteilungen, Essensauswahl und diverse Angebote der Klinik. Bauen Sie beispielsweise eine App mit persönlicher Ansprache an künftige (Wahl-)Patienten“.

Einer der diskussionsfreudigsten „Urgesteine der Branche“, Paul Schmücker, Prof. em. für Medizininformatik, hob in seinem Vortrag hervor: Die Digitalisierung im vernetzten Gesundheitswesen ist ein strategischer Faktor. Sie braucht Standardisierung, Interoperabilität, Struktur und ein Rahmenkonzept. Leider herrscht heute eine Mangel an Medizininformatikern, vor allem durch Streichung von Lehrstühlen; Neugründungen müssen her. Absolventen müsse man mit guten Arbeitsplätzen binden, sonst wandern sie in die Industrie ab. – Die Forschung benötigt strukturierte Patientendaten als Basis für Innovationen. Hier sein Videostatement.

Dr. Dominik Pförringer vermittelte die Vor- und Nachteile von Digital-Health: Neben Zeitersparnis, dem direkten Zugang zum Arzt, besserer und umfangreicherer Behandlungsmöglichkeiten sowie flächendeckender Versorgung in ländlichen Regionen stehen die Gefahr des Missbrauchs von Patientendaten, Fehler und Ausfallanfälligkeit der Medizintechnik, rechtliche Unsicherheiten und weniger persönlicher Kontakt. Am Ende wird der erfolgreich sein, der es versteht, medizinische Aktivität in digitale Prozesse umzuwandeln. Intelligente Ärzte werden begreifen, dass die digitalen Möglichkeiten zum Nutzen für Patienten eingesetzt werden – sie können dieses positiv mitgestalten.

Laura Zwack von Elsevier zeigte anschaulich, wie medizinisches Wissen heute und künftig weiter explodiert. So stellen Clinical-Decision-Support Lösungen und Order Sets unterstützend dort Daten bereit, wo Ärzte Entscheidungen treffen müssen. Dies dient am Ende der Patientensicherheit und sorgt für sichere Diagnosen.

Neuaufstellung von Kliniken

Mehrere Kliniken stellten ihre Modelle und Visionen für künftige Krankenhäuser vor. Die Waldkliniken Eisenberg möchten eine eigene Marke aufbauen: mit Zimmern in Hotelflair, eigener TV-Serie, IT-Dienstplanung, Concierge etc. In der Charité Berlin gibt es im Bettenhaus bereits heute ein umfangreiches Infotainmentsystem mit Telefon/TV, das mit Hilfe von Berlinux weiter ausgebaut wird. Beim luxemburgischen „Projet Südspidol“ folgt die Architektur den Prozessen, auch für künftige An- und Umbauten. Dabei setzen die Verantwortlichen auf wiederverwendbare Materialien, die IT soll via Software-as-a-Service funktionieren. Neue Geschäftsmodelle für das städtische Klinikum in Braunschweig vor allem in Richtung von Managementsystemen wie CRM, PIM, BPM und über Partnerschaften präsentierte der neue CDO Dr. Raimar Goldschmidt.

Nicolas Kelly, Stiftung Mathias-Spital Rheine, sagte, die Wirtschaftlichkeit – der „RoI“ – von Investitionen in der Digitalisierung sei meist „gefühlt“ oder bestenfalls im Lösungsbetrieb nachzurechnen. Alexander Koch, Hospitaltechnik Planungsgesellschaft ergänzte, es brauche eine umfassende Strategie und den richtigen Partner! Ein Kernelement dabei sei das Venor-neutral Archive (VNA) mit Viewer zum Datenzugriff „für alle“. Die Digitalstrategie müsse man entwickeln, fortschreiben und veröffentlichen. Dabei sei eine treibende Person, die immer wieder prüft und einordnet, von großem Vorteil.

Laut Uwe Kohlstädt, Stellvertreter der Geschäftsführung, Bereich Technologie und Infrastruktur am Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf, gelingt die Integration der IT stringent durch Vermeidung von Medienbrüchen, der Einbeziehung aller Prozesse und des Personals – mit möglichst wenigen unterschiedlichen Oberflächen.

Das Universitätsklinikum Münster möchte „einfach machen“ und die Digitalisierung in kleinen Schritten voranbringen. Dies vermittelte Georg Woditsch, Leiter klinische Systeme, Geschäftsbereich IT: „Wir bewegen uns aufgrund der Finanzierung und des Change Managements langsam vorwärts. Der Rahmen sollte sich sukzessive an Erforderlichkeiten und Akteure anpassen, nicht anders herum! Digitalisierung im Realbetrieb bedeutet: Begriffsbestimmung, Umsetzung, Bewertung, und dauerhafte Anpassung der Strategien.“

Wir freuen uns auf die vierte Veranstaltung „Das digitale Krankenhaus“ im Dezember 2019 …

Quelle Text und Bilder: Mirjam Bauer