Der Hebammenberuf ist einer der ältesten der Welt, hat sich aber in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Deshalb ist gerade jetzt eine sowohl systematische als auch wissenschaftliche Überprüfung von praktischen Erfahrungen und Beobachtungen  notwendig. Die Einführung einer akademischen Ausbildung ist dabei ein wichtiger erster Schritt, denn den Beruf der Hebamme kann aus meiner Sicht keine andere Berufsgruppe erfüllen als die Hebammen selbst. Für diese ist die Geburtshilfe nach § 4 des Hebammengesetzes (HebG) eine vorbehaltene Tätigkeit.

Während die Akademisierung des Hebammenberufs seit Herbst 2019 beschlossen ist und somit außer Frage steht, liegen die größten Herausforderungen in deren Umsetzung: Wird es weniger Bewerberinnen geben, weil die Ausbildung an der Hochschule primär Abiturientinnen oder Personen mit einer abgeschlossene Ausbildung in einem Pflegeberuf vorbehalten ist? Wird es in naher Zukunft zunächst unattraktiv sein, den Beruf auszuüben, weil in der Berufspraxis keine höhere Bezahlung der universitär ausgebildeten Hebammen absehbar ist?

Zudem hat die Akademisierung direkte Auswirkungen auf die persönliche Berufsplanung. Aufbauende Masterstudiengänge bieten ein breites Feld für weitere Qualifizierungen und ermöglichen beispielsweise, auch wissenschaftlich tätig zu sein. Werden dann im praktischen “Betrieb” weitere Hebammen fehlen?

Stichwort Hebammenmangel: Was ist dran?

Daten für die Versorgung mit Hebammenhilfe in Schwangerschaft und Wochenbett werden in Deutschland nicht systematisch erhoben. Dennoch gibt es einige Anhaltspunkte, die auf eine Versorgungslücke in der Geburtshilfe hinweisen. Diese Situation wird häufig sehr allgemein als Hebammenmangel bezeichnet.

Der Deutsche Hebammenverband erhebt seit 2015 die Unterversorgung der Hebammenhilfe. Die Daten sind allerdings nicht repräsentativ, da sie auf Selbstauskunft des Verbands basieren.  Dennoch, von 2015 bis Ende 2019 wurden 21.870 Fälle der fehlenden Wochenbettbetreuung gemeldet[1]. Die Dunkelziffer könnte noch deutlich höher liegen, da nicht jeder Mangel gemeldet wird.

In Deutschland sind Hebammen überwiegend freiberuflich tätig, viele davon in Teilzeit. Laut einer Befragung bayerischer Hebammen im Jahr 2018 hat sich die Arbeitszeit in den letzten Jahren aufgrund unzureichender Personalbesetzung und/oder des Mangels an freiberuflichen Kolleginnen bei gleichzeitiger Steigerung der Geburtenzahlen erhöht[2]. Die meisten freiberuflichen Hebammen sind in der Wochenbettbetreuung tätig (92 Prozent) und in der Mutterschaftsvorsorge und Schwangerenbetreuung (84 Prozent). Jede zweite Hebamme bietet Geburtsvorbereitungs- und Rückbildungskurse an.

Bei einer steigenden Zahl von Geburten in den letzten Jahren, ist die Anzahl freiberuflicher Hebammen ungefähr gleich geblieben: Laut GKV Spitzenverband waren 2010 4939 freiberuflich tätig, im Jahr 2018 waren es 5490[3]. Im Jahr 2010 wurden 677.947 Kinder geboren, im Jahr 2018 waren es schon 787.523 Kinder.

Zudem ist die Anzahl der Geburtshäuser seit 2010 leicht gesunken und es gibt fast wöchentlich  Meldungen über entschiedene (bevorstehende) Kreißsaalschließungen (99 seit 2015)[4].

In zahlreichen Medienberichten wird der Hebammenmangel mit der Akademisierung des Hebammenberufs in Verbindung gebracht: Einige sehen in der Akademisierung die Lösung, dem Hebammenmangel entgegenzuwirken, andere sehen darin genau das Gegenteil. Aus meiner Sicht ist weder das eine noch das andere Extrem zielführend für die Lösung des Problems der Unterversorgung.

Digitale Lösung als Ergänzung zur vor-Ort Versorgung

Eine Debatte, die im Zusammenhang mit der Veränderung des Hebammenberufs und der gleichzeitigen Unterversorgung bisher nur selten eingebracht wird, sind die Möglichkeiten digitaler Ansätze.

Laut einer schwedischen Studie nutzen über 95 Prozent der Schwangeren das Internet, in erster Linie um sich Informationen zu verschaffen[5]. Aufgrund des Mangels an Fachpersonal wird auch in Deutschland zur Informationssuche häufig das Internet genutzt.  Das Ergebnis ist jedoch selten mehr Klarheit, sondern im Gegenteil noch mehr Verunsicherung. So klagt die Mehrzahl der befragten Frauen über Unsicherheit durch Informationen aus dem Internet und 11 Prozent kontaktierten sogar ihren Arzt oder gingen in die Klinik aus Sorge, dass medizinische Behandlung nötig sei.

Hier können telemedizinische Services  ansetzen, um Schwangeren und jungen Familien innerhalb kürzester Zeit Klarheit zu bieten. Wichtig sind dabei medizinisch fundierte Information aus verlässlicher Quelle, beispielsweise von erfahrenen und zertifizierten Hebammen, die qualifizierte Antworten auf Fragen und Sorgen geben.

Die Digitalisierung, die unseren Alltag bereits längst im Griff hat, kann hier eine ernstzunehmende Antwort sein. Und eines vorweg genommen: Die Geburtshilfe im Sinne der eigentlichen Geburt kann digital natürlich nicht ersetzt werden. Online-Angebote sind deshalb als Ergänzung und Stärkung der vorhandenen Versorgungsstrukturen konzipiert, ohne dass den Frauen oder den freiberuflichen Hebammen dadurch Nachteile entstehen. Im Gegenteil: Digitale Lösungen können Schwangere und junge Familien in der Vor- und Nachsorge sowie im Wochenbett unterstützen und die freiberuflichen Hebammen vor Ort von telefonischen Nachfragen entlasten.

Fest steht jedenfalls, dass Hebammen weiterhin eine wichtige Rolle für werdende Mütter spielen werden und auch die allwissende Informationsquelle Internet ihre Expertise und vor allem Erfahrung nicht ersetzen kann. Und wer weiß – vielleicht werden digitale Ansätze ja künftig auch Teil der akademischen Hebammenausbildung.

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Autor dieses Gastbeitrages: Nicole Höhmann

Nicole Höhmann leitet das Hebammen-Team beim Telemedizin-Startup Kinderheldin. Als ausgebildete Hebamme hat sie sieben Jahre in der Geburtshilfe verschiedener Kliniken gearbeitet und zudem freiberuflich Schwangere und junge Mütter in der Vor- und Nachsorge betreut. Anschließend studierte sie Politik-, Medienwissenschaften und Soziologie an der Heinrich-Heine Universität in Düsseldorf und war danach in verschiedenen Institutionen des öffentlichen Rechts für den Aufbau und die Etablierung von Arbeits- und Kommunikationsstrukturen zuständig. Als Kommunikationsberaterin hat sie freiberufliche Hebammen supervidiert und geschult. Der Zufall führte sie 2017 zu Kinderheldin, wo sie ihre vielseitige Berufserfahrung aktiv in den Aufbau von digitalen Versorgungsstrukturen im Gesundheitswesen einbringt. Bei Kinderheldin ist sie als Director of Operations insbesondere für das Hebammenteam, das Qualitätsmanagement und die Kommunikation verantwortlich.

[1] Quelle: Deutscher Hebammenverband,  https://www.unsere-hebammen.de/mitmachen/unterversorgung-melden/, Stand 12.12.2019

[2] Iges: https://www.iges.com/kunden/gesundheit/forschungsergebnisse/2018/hebammen/index_ger.html, Stand 12.12.2019

[3] GKV Spitzenverband: https://www.gkv-spitzenverband.de/gkv_spitzenverband/presse/zahlen_und_grafiken/gkv_kennzahlen_hebammen/gkv_kennzahlen_hebammen.jsp, Stand 12.12.2019

[4] Deutscher Hebammenverband: https://www.unsere-hebammen.de/mitmachen/kreisssaalschliessungen/, Stand 12.12.2019

[5] Bjelke M, Martinsson A, Lendahls L, Oscarsson M:

Using the Internet as a source of information during pregnancy — A descriptive cross-sectional study in Sweden; Midwifery, Volume 40, Pages 187–191, Sept. 2016;