Die Digitalisierung im Gesundheitswesen ist nicht mehr aufzuhalten. Große Firmen und kleinere Start-ups, mitunter von „main Playern“ im Gesundheitssektor finanziell unterstützt, drängen auf den Markt. Fitness-Apps gibt es an jeder Ecke, auf jedem Armband, auf Smartphones und Uhren. Der Kostendruck im Gesundheitswesen führt dazu, dass immer weniger Zeit für Patient:innen bleibt. Das gilt sowohl für den ‚normalen‘ Arztbesuch wie für Aufenthalte im Krankenhaus nach Operationen.

Gab es früher schon diverse, meist privat organisierte Foren im Web, in denen sich Betroffene nach Anmeldung mit Gleichgesinnten zu ihren Krankheiten austauschen konnten, hat sich das heute in die sozialen Medien verlagert, insbesondere in private Gruppen bei Facebook. Dort tummeln sich oft viele tausend Mitglieder und sprechen offen über ihre Erkrankungen und Probleme. Sie suchen Zuwendung und Hilfe, die praktische Ärzt:innen aus Zeitgründen nicht geben können – doch mit der Gefahr, dass aufgrund von Halbwissen fragliche Tipps und Ratschläge erteilt werden. Dabei ist es für den Social-Media-Anfänger, den ‚Newbie‘, fast unmöglich, seriöse Angebote von unseriösen oder Verkaufsgruppen zu unterscheiden. Oft werden Gruppen, die versprechen, ein Leiden mit ganz einfachen Mitteln zu heilen, jenen vorgezogen, die valide informieren und dabei auch unbequeme Wahrheiten nicht verschweigen.
Gleichwohl erfreuen sich diese Plattformen steigender Beliebtheit und Nutzerzahlen, kann man sich doch unabhängig vom Endgerät überall informieren, austauschen und beteiligen. Die Betreiber (Admins) solcher Gruppen haben eine große Verantwortung, der sie in gut geführten Gruppen auch gerecht werden – insbesondere dann, wenn namhafte Fachleute und Experten mit an Bord sind, die Gruppen aktiv moderieren und begleiten und Beiträge, die Falschmeldungen verbreiten, auch löschen und sanktionieren.
Zwei Beispiele hierfür sind „Das Arthrose-Forum Austria“ und „TEPFIT – Fit mit künstlichen Gelenken (Hüfte und Knie)“ mit dem korrespondieren Blog „Endoprothese und Sport“.
In der 2015 gegründeten geschlossenen Tepfit-Gruppe tauschen sich aktuell mehr als 4300 Mitglieder mit über 30 Experten (Ärzt:innen, Physiotherapeut:innen, Ernährungsberater:innen, Sportwissenschaftler:innen, Trainer:innen und Medizinjournalist:innen) aus.

Koexistenz von Social Media Selbsthilfe-Gruppen und Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGAs)

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat aktuell elf Gesundheits-Apps verschiedener Hersteller als DIGAs zugelassen.
Meist werden damit bestimmte dedizierte Krankheitsbilder wie Adipositas oder Arthrose per App begleitet. Doch was bedeutet das genau?
Der Patient kann im Vertrauen auf Datensicherheit mit der Angabe seiner Beschwerden die App ‚füttern‘ und bekommt im besten Fall vorgeschlagen, welchen Weg er einschlagen kann, um optimal auf seiner ‚Patient:innen-Reise‘ – neudeutsch Customer Journey – geführt zu werden. Er wird direkt zu den für das jeweilige Krankheitsbild spezialisierten Ärzt:innen, Kliniken und Physiotherapeut:innen geleitet und kann diese bei Bedarf auch gleich über die App kontaktieren. Dabei spannt sich das Behandlungsfeld natürlich von einem ersten Telefonat oder Video-Call bis hin zum Besuch vor Ort. Der Vorteil einer Zeit- und damit auch Kostenersparnis liegt unter anderem darin, dass alle an dem System angebundenen medizinischen Partner direkt auf die gleichen umfassenden Patienteninformationen und Befunde zugreifen können, ohne dass dies stets bei jedem Arztbesuch oder Arztwechsel erneut erfasst werden muss. Zusätzlich bieten diese Apps die Möglichkeit, eine Vielzahl von Fachinformationen zu hinterlegen oder auch zu verlinken. Alles, was mündige Patient:innen sich sonst mühsam ‚ergooglen‘ müssen – leider auch immer mit der Gefahr, auf Fake-News zu stoßen – wird so dediziert, gesammelt und validiert zur Verfügung gestellt.
Dabei können auch Selbsthilfegruppen ins Spiel kommen. Zum einen können diese den Betroffenen auf die passende DiGA aufmerksam machen – obwohl das eigentlich der behandelnde Arzt tun sollte –  zum andern kann natürlich auch die Erfahrung aus vielen tausend Einzelfällen aus so einer Gruppe in die App einfließen und diese optimieren (siehe die Tepfit-Gruppe mit der in Zulassung als DiGA befindlichen App alley für Patienten mit Knie- und Hüftarthrose).

Alle müssen mitspielen

Neben der Einbeziehung der Betroffenen müssen die Entwickler:innen solcher Apps sich im Vorfeld intensiv mit Kliniken und Ärzt:innen austauschen sowie in einem Pilot-Projekt das Zusammenspiel aller Beteiligten intensiv testen und verbessern. Bezogen auf alley wurde die Entwicklung maßgeblich vom GK-Bonn mitgestaltet. Dr. med. Holger Haas, Chefarzt Allgemeine Orthopädie, Unfallchirurgie und Sportmedizin, erklärt: „Als Klinik ist uns daran gelegen, Patient:innen bei allen Fragen im Zusammenhang mit ihrer Erkrankung aktiv zu begleiten, auch wenn sie längere Zeit auf ihren OP-Termin warten müssen. Mit dieser App ist genau das möglich. App und Care Management helfen uns, die individuelle Situation unserer Patient:innen besser zu verstehen und darauf einzugehen. Gerade mit zeitlichem Abstand von der Erstuntersuchung tauchen zudem oft Fragen auf, die durch die App oder im direkten Kontakt beantwortet werden können. Damit wird auch die Betreuung der Patienten durch die niedergelassenen Ärzte im Vorfeld der Operation hervorragend unterstützt.“

Im Gemeinschaftskrankenhaus Bonn kam die App als Pilot bereits im ersten Lockdown im Frühjahr 2020 zum Einsatz.

Ein weiterer Vorteil digitaler Gesundheitsanwendungen ist, dass je nach Krankheitsbild über die App den Betroffenen Handlungsweisen, spezielle Übungen und Trainings angeboten werden können, die zur jeweiligen Diagnose passen. Ein Übungsvideo ist um ein Vielfaches anschaulicher als Übungsblätter mit Zeichnungen, falls diese überhaupt zur Verfügung gestellt werden.

Ausblick

Es wird auf jeden Fall spannend, zu sehen, wie schnell die Digitalisierung im Gesundheitswesen die nächsten Jahre fortschreitet und wo die Grenzen des Sinnvollen und Machbaren liegen. Dabei spielt die Akzeptanz der Anwender eine große Rolle, ebenso die Frage, ob und in welchem Umfang sich die ältere Generation darauf einlässt. Ein großes Augenmerk muss dabei von allen Seiten unbedingt auf die Sicherheit der Daten gelegt, und die Verwendung und Speicherung müssen absolut transparent gemacht werden.
Aus meiner Sicht ist im deutschsprachigen Raum zudem zwingend eine eindeutige und verständliche deutsche Sprache und Benutzerführung notwendig – unter größtmöglichem Verzicht auf Anglizismen.
Sollte sich der neue Hype um die App Clubhouse weiter fortsetzen und auch Bestand haben, können ‚Info‘-Veranstaltungen zu medizinischen Themen in gemeinsamen Talks aller Gesundheitspartner einfach und überall stattfinden. Dies ersetzt natürlich keine Diagnosen, kann aber zur Aufklärung der Patient:innen und Betroffenen dienen – auch wenn wir dort wieder ganz schnell beim Thema Datenschutz sind.
Letztlich braucht es eine bessere Vernetzung aller Beteiligten, damit beispielsweise privat organisierte Social-Media-Selbsthilfegruppen Unterstützung von Krankenkassen, Gesundheitseinrichtungen, Mediziner:innen und medizinisch tätigen Personengruppen erfahren und bestenfalls einen direkten Zugang dazu haben.

Weitere Schritte der Digitalisierung wird es auch bei Diagnosen durch künstliche Intelligenz geben, die heute schon Röntgenbilder oder MRTs lesen und korrekt bewerten kann. Ich bin sicher, dass dies in den nächsten Jahren flächendeckend Einzug in der Medizin halten wird.

Quelle: Peter Herrchen